Zur  Barschel Affäre und Beerdigung des schl.-holst. Ministerpräsidenten Uwe Barschel

von Andreas Vones

 Zur Erinnerung: 1987 wurde der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel nach einem der größten Polit-Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte tot in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmers aufgefunden.

Personenklärung: Pfeiffer > Ex – Medienreferent von Uwe Barschel und Initiator des Skandals / Jutta Schröder >  Sekretärin

 

Kiel, September/Oktober 1987

Die Nacht ist nasskalt, der Morgen graut am Horizont und der Müllcontainer vor dem kleinen roten Häuschen stinkt. Er stinkt wie die ganze Geschichte, die mich dazu trieb, wie ein Penner im Abfall fremder Leute zu wühlen. Dabei ist im Dreck zu wühlen gang und gebe geworden während des größten Polit-Krimis der deutschen Nachkriegsgeschichte. Da kommt es auch nicht darauf an, dass ich den schmutzig grauen Müllcontainer von Jutta Schröder in Kiel – Heikendorf durchwühle. Rainer Pfeiffers Mülltonne war mir schließlich mehrfach in der Woche einen Besuch wert.

 

Vorweg: Ich fand nichts Aufregendes in den Mülltonnen.

 

Aber einige Stunden später war ich wieder Gast vor Schröders Wohnung: Ist Pfeiffer da oder nicht ? Geht er joggen, wie angeblich jeden Morgen oder nicht? Wer kommt, wer geht, die News-Fabrik bei der Produktion. Auto und Kleidung wechseln wie Mr. Smiley von John Le Carreé. Der Kragen ist hochgeschlagen, das 400 mm Objektiv lugt schussbereit aus dem Seitenfenster. Wechseloptik und hochempfindliche Filme liegen bereit. Gedanken aller Art jagen durch den Kopf, die Luft scheint vor Spannung zu knistern. Ich sammle Informationen und jage Leute-, nicht gerade das, was sich meine Mutti mal von einem Bildjournalisten erträumt hat. Doch diese Geschichte zieht einen in seinen Bann. Was ist erlogen, was ist wahr? Seit dem spektakulären Flugzeugabsturz in Lübeck-Blankensee gehört das „Abschießen“ zum täglichen Geschäft. Abschießen nennen wir Profis das Fotografieren von Leuten, die redaktionell angefordert werden, sich jedoch nicht freiwillig ablichten lassen.

Nach der Wahl kam zum täglichen Thema „Barschel“ die tägliche Frage; was macht Pfeiffer hinzu. Abschießen und im Dreck wühlen ist im nördlichsten Morast dieser Republik, dort, wo es am matschigsten ist, zur Grunddevise geworden. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat – ein Ende ist nicht absehbar.

 

Mich packte der eigentliche Skandalbeginn hautnah am Tatort: im Landeshaus während der Wahlnacht. Barschels Tod erwischte mich völlig unvorbereitet beim Squash spielen – der Eurosignalempfänger ist schließlich immer dabei. Fünf Stunden später war ich in Genf. Zwei Tage später auf Gran Canaria, wieder zurück zum Kieler Landeshaus und wieder nach Gran Canaria, dann wieder nach Genf und wieder zurück nach Kiel. Jeden Tag das gleiche Thema, überall, ob zu Hause oder unter Freunden, im Flugzeug, im Taxi und natürlich unter Kollegen*innen. Täglich ist die gleiche Story gefragt, doch täglich wird auch die bessere Nachricht dazu gesucht.

 

Die „Einen“ besorgen sich einen Taxifahrer, der sich dann später doch an nichts erinnert und die „Anderen“ besorgen sich Gutachter, die bestehende Gutachten zu widerlegen versuchen und Gerüchte zum „Aufköcheln“ kursieren non-stop. Und ich wühle eben in Mülltonnen...

Termine wie der Untersuchungsausschuss mit Kronzeugen oder die berüchtigte Mammut-Ehrenwort-Konferenz stecken einem noch in den Knochen. Rund 40 Fotografen und nahezu eben so viele Fernsehteams wollen den gleichen Mann, dieselbe Perspektive -–aber das „Bessere“ Foto. Leistungsdruck wird an die drängelnden Ellenbogen weitergegeben. Wer macht heute das bessere Foto, das andere Bild...

Im besten Fall hat man Erfahrung als Kreisspieler der Handball-Bundesliga für diese Art von Fototerminen. Die „Ehrenwort-Konferenz“ war schon der Hit, aber da ahnte ich ja auch noch nichts von der Beerdigung.

 

Der „Tod in Genf“ traf in mir jedoch zuerst den Menschen, dann erst den Reporter. Mann, was geht hier vor ? Immerhin hatte ich einen guten persönlichen Kontakt zum Ehepaar Barschel, aber auch zum Ehepaar Engholm. Wir trafen uns nicht nur auf Pressekonferenzen. Doch die Tagesaktualität ließ mich gar nicht erst zur Ruhe kommen. Die „normalen“ Termine müssen ebenfalls professionell erledigt werden und zwischendurch: Anonyme Anrufe, Hinweise, Gerüchte, kaum Tatsachen, doch „Abschusstermine“ zu Hauf: Eike Barschel in Kiel, Freya Barschel kommt zurück, Gerhard Stoltenberg in Kiel....

 

Der Wettbewerb ist ein undurchdringlicher Dschungel geworden, der Zeitdruck kaum zu halten und für eigene private Gedanken in dieser Geschichte ist  keine Zeit vorhanden. Und, na klar, der Job muss pünktlich, gut und stets besser als bei der Konkurrenz erledigt werden.

DIE ZEIT ZUM NACHDENKEN erwischte mich an einem Ort, wo wir alle einmal zur Ruhe kommen werden. Am 13.10.1987 war die Welt morgens um sieben keinesfalls mehr in Ordnung. Morgens um sieben auf dem Möllner Friedhof, warten auf den Totengräber...

 

Warten auf besseres Tageslicht und auf den großen Run. Der prominenteste Tote des Jahrzehnts wird zur letzten Ehre gezwungen. Während ich auf den Totengräber an Barschels zukünftigen Grabplatz warte, sammeln sich die ersten Kollegen vor dem Lübecker Dom zur Trauer“feier“. Eine große „Bunte“ Illustrierte war der Meinung,  mich am Grabplatz platzieren zu müssen. Der Totengräber bei der Arbeit ist immer noch besser als evtl. gar kein Foto von der eigentlichen Beerdigung. Es ist bitterkalt, die Jacke kann ich vor lauter Fototechnik nicht richtig schließen. Ich verdrücke mich hinter einen großen Grabstein, ja nicht schon jetzt auffallen, denn auch die ersten Polizeitruppen versammeln sich zum Schutz der bestatteten Privatsphäre.

 

 Hin- und wieder meldet der leise gestellte Europieper am Gürtel „schlechten Empfang“, oh ja, schlechter Empfang, warten auf den Totengräber...

 

Eine Beerdigung als Medienerlebnis der Superlative. Ich friere. Meine Grenzen der journalistischen Berichterstattungspflicht, News und Unterhaltungswerte – an Barschels Grab werden diese Grenzen für mich erreicht. Aber wenn ich es nicht mache, dann macht es halt jemand anderes. Millionen Leser erwarten diese Fotos, erwarten sie sie...? Die Gedanken zerplatzen, der Totengräber kommt an seinen heutigen Arbeitsplatz. Ein paar Schnellschüsse aus der Ferne zur Sicherheit, die ersten Spatenstiche, das Licht ist verdammt knapp, noch ein paar Schnellschüsse und vorsichtig herantasten. „Guten Morgen, ach ist das...?“ Es ist. „Darf ich einige Fotos machen?“ Ich darf nicht. Also doch noch ein paar auf die Heimliche. Recht am eigenen Bildnis? Das ist Sache der Chefredaktion. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Der Fotosöldner im Einsatz.

 

Während Polizisten das Friedhofsgelände routiniert dreimal durchsuchen werde ich auch prompt dreimal erwischt, mal im Komposthaufen, mal auf der Toilette, mal im Baum – alle Parteien nehmen es professionell, humorvoll locker. Dennoch konnte ich mich zwischendurch durch ein kleines Fenster in die Kapelle stehlen und einen Film mit den Trauerkränzen und Blumengebinden belichten. Immerhin.

 

Draußen beginnt die Foto- und Videoschlacht um den prominentesten Toten der 80er Jahre. Die Ausbeute war ziemlicher Mist. „Gute Bilder gab es keine von der Beerdigung“, sagte der Chef.

 

Kann es von einer Beerdigung überhaupt gute Bilder geben?     


Der ARD Spielfilm zum Skandal



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